Im Winter 2019 eröffnete mit dem Tresor.West in Dortmund eine Dépendance der legendären Berliner Techno-Institution. Es war ein Auftakt mit Schwierigkeiten und noch sind nicht alle Krisen ausgestanden. Tresor.West-Leiter Leonard Raffel erklärt im Clubporträt unter anderem, mit welchen innovativen Maßnahmen die Zukunft seines Clubs gesichert werden soll.
Dimitri Hegemann ist ein Möglichträumer, so jemand, der viele abstruse Ideen im Kopf hat und noch mehr Willenskraft, sie umzusetzen. Das trieb ihn einst von Werl in Nordrhein-Westfalen, wo ihm niemand zuhören wollte, nach Westberlin, wo ihm fast alle zuhörten und dann mitanpackten. Das Festival Atonal, das Fischbüro, das UFO und natürlich den Tresor hat Hegemann mit ihrer Hilfe möglich geträumt und trug somit maßgeblich dazu bei, die Stadt als Knotenpunkt der internationalen Techno-Szene zu etablieren.
Nach dem großen ersten Hype um Techno während der 1990er-Jahre trieb es ihn allerdings nach Werl zurück, um ein – je nachdem – bescheideneres oder doch ambitionierteres Projekt umzusetzen: Einen Club in der alten Heimat. Das klappte Anfang der Nullerjahre zwar nicht, doch Hegemann träumte weiter. Als der Berliner Tresor am neuen Standort im Kraftwerk an der Köpenicker Straße ab Anfang der Zehnerjahre zunehmend eine zweite Blütezeit erlebte, schien der Moment günstig: Ein zweiter Tresor in NRW ließ sich umsetzen.
Im Jahr 2018 registrierte Hegemann gemeinsam ein neues Geschäft unter dem Namen BASE PHX GmbH. Das PHX steht für Phönix, was sich einerseits schlicht auf die Adresse des von dem Unternehmen getragenen Clubs namens Tresor.West am Phönixplatz im südöstlichen Dortmunder Stadtteil Hörde bezieht. Andererseits ist es unmöglich, den Namen nicht metaphorisch zu lesen: Die einst aufgegebene Idee wurde aus der Asche wiedergeboren.
Tresor.West: Abseits der Metropolen
Tatsächlich sollte das nicht die einzige Wiedergeburt in der Geschichte des Tresor.West bleiben. Gedacht war der Club ja auch selbst als eine Art Reanimationsmaßnahme für die Stadt im Ruhrgebiet. "Schon vor der Pandemie sind viele junge Menschen in die Metropolen geflüchtet, weil sie nicht wussten, was sie hier machen sollten", erklärt Clubleiter Leonard Raffel. "Würde man aber eine Bedürfnispyramide für junge Menschen aufzeichnen, wäre ein Club die unterste Stufe." Der Tresor.West sollte sie in der Stadt halten. Dafür setzt sich Hegemann insgesamt ein, weit über Dortmund hinaus.
Mit der Gründung der Academy of Subcultural Understanding schuf seine Tresor Foundation ein Ausbildungsprogramm, das gezielt den Nachwuchs jenseits der großen Städte aufbauen sollte. Einer der Absolvent:innen der ersten Ausgabe wird bald im Untergeschoss des Leipziger Kohlrabizirkus das Erbe des Ende 2024 geschlossenen Instituts fuer Zukunft unter dem Namen Axxon N. weiterführen. Auch Raffel war dabei – und heuerte im Anschluss direkt beim Tresor.West an. Seit Anfang 2024 leitet er das Team, das inklusive Kernteam und einigen auf Minijob-Basis angestellten Mitarbeiter:innen zwischen 30 und 40 Personen umfasst.
Raffel stellt klar, dass der Tresor.West trotz der Namensgleichheit wirtschaftlich unabhängig vom Berliner Tresor agiert. "Als unser Geschäftsführer ist Dimitri zwar sehr involviert und hat im Zweifelsfall das letzte Wort, weshalb ich im täglichen Kontakt mit ihm stehe", erklärt er. "Auch sprechen wir mit den Bereichsleitungen des Tresor in Berlin und nutzen die gleichen Infrastrukturen. Aber wir sind ein eigenständiger Betrieb." Die langen Schlangen an der Köpenicker Straße bedeuten dementsprechend nicht, dass am Phönixplatz der Kontostand stimmt. Und auch sonst sind die Dinge in Dortmund anders als in Berlin.

Ein unterirdisches Labyrinth
In der Zeit zwischen der Geschäftsgründung und dem Soft-Opening des Tresor.West im Rahmen der Konferenz Musik und Maschine im November 2019 fand der aufwändige Umbau des Kellergewölbes auf dem ehemaligen Hüttenwerk Phoenix West statt. "Es wurde viel Geld und Energie investiert, um labyrinthische Gänge in einen Club umzufunktionieren", erklärt Leonard Raffel. Der Club sei absichtlich verwinkelt angelegt, wobei Sackgassen allerdings bewusst vermieden wurden. Dennoch: "Beim ersten Besuch verläuft man sich garantiert", lacht Raffel.
Die beiden Herzstücke des Clubs, der insgesamt Platz für 750 Menschen bietet, sind die zwei Tanzflächen. "Auf dem UFO-Floor wird Musik abseits von Detroit Techno gespielt, der auf dem TW-Floor sein Zuhause hat. Dazwischen gibt es eine an den UFO-Floor angeschlossene, große Bar nach 360°-Prinzip, ähnlich dem Globus im Berliner Tresor", erklärt Raffel. "Es ist merklich, dass die Gestaltung beider Clubs aus derselben Feder kommt." Dazu gesellt sich ein großer Garten mit mehreren Ebenen, in dessen Mitte ein Open-Air-Dancefloor während der warmen Jahreszeiten zu Sundowner-Events oder After-Hours im Freien einlädt.

Raffel spricht mit Stolz über die ausgeklügelten Räumlichkeiten, die kürzlich per 3D-Scan-Verfahren erfasst wurden. Die Lage im Industriegebiet hat obendrein den Vorteil, dass Open-Air-Veranstaltungen keine Anrainer:innen stören. Und jedoch ebenso den Nachteil, dass der Tresor.West aus der Innenstadt nur schwer zu erreichen ist – bis heute fährt kein Nachtbus in die Nähe des Clubs, Besucher:innen müssen sich eigenständig um An- und Abreise kümmern. Das ist nicht die einzige Hürde, mit der sich der Tresor.West zur regulären Eröffnung Ende 2019 konfrontiert sah.
Sperrstunde und Stillstand
Am 20. und 21. Dezember 2019 fanden die ersten beiden offiziellen Veranstaltungen statt, auf den Line-ups fanden sich unter anderem James Ruskin, Silent Servant und Mareena. Traditionsbewusst und doch avanciert, ganz im Geiste des Berliner Vorbilds. Doch waren die Vorzeichen andere. "Damals galt noch die Sperrstunde und um 5 Uhr wurde das Publikum aus dem Club gefegt", sagt Raffel mit einem Kopfschütteln. "Darüber hinaus galten Clubs weiterhin als Vergnügungsstätten, vergleichbar mit Casinos und Bordellen. Das ist nicht nur baurechtlich, sondern auch steuerlich von Belang – es entfiel Vergnügungssteuer. Von 100 Euro, die wir an der Kasse umsetzten, gingen 19 an den Staat."
Sowohl die Sperrstunde als auch die Vergnügungssteuer sind dank des tatkräftigen politischen Einsatzes von Dimitri Hegemann und der 2020 lancierten Interessengemeinschaft Dortmunder Club- und Konzertkultur seit einiger Zeit Geschichte. Doch fiel die Eröffnung des Tresor.West in eine schwierige Zeit: Nach nur knapp zweieinhalb Monaten Betrieb musste der Club pandemiebedingt schließen und sah sich mit prekären Perspektiven konfrontiert. Der Biervorrat wurde abverkauft, in Zeiten gelockerter Restriktionen fanden auflagenkonforme Alternativveranstaltungen dort statt, alles in allem aber blieb der Tresor.West als Club für über zwei Jahre komplett geschlossen.
Im Mai 2022 eröffnete er wieder. Ende gut, alles gut? Mitnichten. Wie auch die meisten anderen Clubs sah sich der Tresor.West mit neuerlichen Krisen konfrontiert. Raffel identifiziert vier verschiedene Gründe für die wirtschaftliche Prekarität von Unternehmen wie seinem. "Erstens sind wegen der Inflation unsere Fixkosten gestiegen. Weil sich die steigenden Kosten auf das Ausgehverhalten des Publikums auswirkten, gehen die Menschen zweitens gezielter aus oder lassen weniger Geld im Club", erklärt er. Dazu kämen übermäßig angestiegene DJ-Gagen. "Wir sagen manchmal, dass nur noch Booking-Agenturen und DJs wirklich von der Clubkultur verdienen." Und obendrein fehle der politische Rückhalt.

Ein radikales Experiment
Leonard Raffel ist ein deutlicher Befürworter der öffentlichen Förderung von Clubkultur, die seiner Auffassung nach massiv zur Aufwertung einer Stadt wie Dortmund beiträgt. Neben infrastrukturellen Belangen wie der Einrichtung einer Nachtbuslinie umfasst das auch wirtschaftliche Stützen für Clubs, die neben der Aufwertung der Stadt in den Augen der jungen Bevölkerung auch sekundäre Einnahmen für die Kommune versprechen. Darin werde aber zu wenig investiert. "Das Ruhrgebiet brüstet sich zwar gerne immer mit blühender Clubkultur und wir werden als gewollt dargestellt", sagt Raffel. "An Förderungen mangelt es trotzdem."
Der Tresor.West erhielt zwar in Lockdown-Zeit teilweise Coronahilfen durch das Land Nordrhein-Westfalen, jedoch wurden diese zuletzt zurückgefordert, weil der Club nach Aufhebung der Auflagen nicht sofort neu eröffnet hatte. "Wir hatten keine bestehende Infrastruktur und mussten nach der allgemeinen Wiedereröffnung erstmal eine auf die Beine stellen", erklärt Raffel dies. "Deshalb werden nun die Hilfen zurückgefordert. Das ist skandalös." Aktuell fechtet der Club dies an. Zu den Details des Rechtsstreits kann Raffel sich nicht äußern. "Aber je nachdem, wie er ausgeht, wird unsere Existenz entweder für ein paar weitere Monate gesichert. Oder aber es wird uns das Genick brechen."
Unabhängig von dieser existenziellen Bedrohung für den Fortbetrieb des Clubs befindet sich dieser sowieso in einer schwierigen Situation und macht das mittlerweile transparent. Anfang Januar dieses Jahres wandte sich das Team an die Öffentlichkeit, um sich unter dem Hashtag #SaveTheUnderground an die Öffentlichkeit zu wenden. "Wir haben der Schließung ins Auge geschaut und tun das weiterhin. Not macht erfinderisch, also haben wir ein Experiment gestartet", sagt Raffel. Seitdem finden im Tresor.West sogenannte Community-Nights statt. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. Wie soll das einen wirtschaftlich angeschlagenen Club retten?
Rave in seiner ursprünglichen Form
Wer den auf den ersten Blick ungewöhnlich wirkenden Ansatz der Community-Nights verstehen will, muss sich zuallererst mit dem Selbstverständnis des Tresor.West auseinandersetzen. Trotz der wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Berliner Tresor orientiert sich dieses klar an dort vorgelebten Werten. "Techno ist Schwarz", begrüßt der Tresor.West Besucher:innen schon mit dem ersten Satz seines Code of Conducts und diese Verpflichtung zur Tradition einer aus Detroit stammenden Subkultur zieht sich durch alle Bereiche des Clubs. "Wir schreiben uns auf die Fahne, dem Underground verpflichtet zu sein", betont Clubleiter Leonard Raffel.
Neben einem deutlichen Schwerpunkt auf Techno mit Detroiter Zungenschlag umfasst dies auch, dass die Veranstaltungen anders als in vielen anderen Clubs nicht von externen Promoter:innen kuratiert werden. "Du sollst wissen, was du im Tresor.West geboten bekommst. Heute Trance, morgen House, übermorgen Hip-Hop-Konzert – das gibt es bei uns nicht", sagt Raffel. "Stattdessen schaffen wir einen roten Faden." Er selbst merkt indes kritisch an, dass der Club wegen Fluktuationen in der Organisation und wechselnden Besetzungen im Booking-Team in der Vergangenheit häufiger "an den Bedürfnissen der Dortmunder Community vorbeigebucht" habe.
Geändert habe sich dies, als Sinam Hüls als Booker vor anderthalb Jahren zum Team stieß und dieses sich mit klarer Vision eine neue Routine schuf. "Wir springen nicht auf Trends und Hypes auf", betont Raffel mit Nachdruck. "Stattdessen bieten wir Rave in seiner ursprünglichen Form: Dunkelheit, Nebel, Strobo in die Fresse und es kommt niemand, um dich um fünf Uhr vor die Tür zu setzen, nur weil die Bar keinen Umsatz mehr macht. Es ist ein Gesamterlebnis. Nachts ist eine Spannung in der Luft und niemand denkt daran, das Handy rauszuholen." Die grundlegenden Werte dahinter werden bei jeder Gelegenheit offen kommuniziert. "Bildungsarbeit" nennt Raffel das auch.

Weniger Ausgaben, mehr Publikum
Der Tresor.West nimmt insofern nicht nur das Erbe der Techno-Kultur ernst, sondern versucht auch Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Club zum diskriminierungsarmen und ablenkungsfreien Raum machen sollen. Eben dort setzen auch die Community-Nights an, die nicht nur die finanzielle Hürde an der Clubtür für ein breiteres Publikum abschaffen, auch wenn weiterhin eine Selektion stattfindet. Selbst die Line-ups werden in diesem Rahmen nicht mehr angekündigt, obwohl neben viel regionalem Talent durchaus auch bekanntere Gesichter hinter der Booth zu sehen sind. In Zeiten eines Social-Media-getriebenen Starkults ist das eine ideologische Ansage.
Das alles hat allerdings ebenso wirtschaftliche Hintergründe, wie Raffel freimütig einräumt. Den explodierenden DJ-Gagen hatte sich der Club schon Ende letzten Jahres durch die Einführung einer Honorarobergrenze entgegengestemmt. Der neuerliche Fokus auf DJs aus der Umgebung spart zusätzlich zu anderen Optimierungsmaßnahmen auf Ausgabenseite nochmals Kosten. Die fehlenden Einnahmen aus den Eintrittsgeldern müssen dennoch ausgeglichen werden. Neben dem Verkauf von Merchandising ist da vor allem das wichtigste ökonomische Standbein eines jeden Clubs gefragt, die Gastronomie. Die Rechnung: Je voller der Laden, desto leerer die Bar am Ende der Nacht.
Vergleichbare Versuche sind bereits aus Berlin bekannt, wo unter anderem das ://about:blank und das OXI Veranstaltungen mit freiem Eintritt anbieten – mit durchwachsenen Resultaten. Doch Dortmund ist ein anderes Pflaster, wie Raffel erklärt. Zum Glück. "Wenn ich in Berlin von einem kostenfreien Event ohne Eintritt höre, habe ich daneben noch 200 andere, dessen Line-ups ich kenne. Die Konkurrenz ist viel größer. Bei uns in Dortmund gibt es eine Handvoll Clubs, da fällt das viel mehr auf." Zum Zeitpunkt des Gesprächs Ende Februar kann er bezüglich der Besucherzahlen deshalb ein positives Fazit ziehen: Die Community-Nights locken ein größeres Publikum an.
Nach dem harten Winter
Schwarze Zahlen schreibt der Tresor.West mit dem innovativen Konzept jedoch noch nicht, wie Raffel zugibt, das Geschäft bleibt weiterhin defizitär. "Wir nähern uns dem Break-even, aber wir sind noch nicht da." Dennoch sieht er das Konzept in anderer Hinsicht als zukunftsträchtig an. "Die Community-Nights haben uns viel Aufmerksamkeit verschafft, viele Menschen geben dem Tresor.West nun erstmals eine Chance. Wir hoffen natürlich, dass sie wiederkommen, wenn wir wieder Eintritt verlangen", erklärt er. Ob die Überzeugungsarbeit geglückt ist, könnte sich schon bald herausstellen.
Die Samstage im März werden zwar noch weitgehend von den kostenfreien Community-Nights dominiert, am 14. März wird für die Vorführung der Doku Sub Berlin – The Story of Tresor mit anschließendem Set von Blake Baxter erstmals wieder ein Obolus erhoben. Wie es danach weitergeht, steht derzeit nicht fest. "Ich gehe davon aus, dass wir ab April ein Mischkonzept aus Community-Nights und regulären Paid-Events mit angekündigtem Line-up fahren werden", sagt Raffel. Der Club sei weiterhin bedroht, doch die positive Resonanz auf das Angebot habe ihn durch den harten Winter gebracht. So schaut er zwar nicht komplett optimistisch, immerhin aber gefestigt in die Zukunft.
Planungssicherheit mag nicht gegeben sein, doch muss gerade deshalb weit gedacht werden. Angesichts der grassierenden Clubkrise vermutet Raffel, dass sich das Gros der Clubs in Zukunft nicht mehr allein auf das Kerngeschäft stützen können wird. "Wir alle müssen kreativer werden. Im Tresor.West haben wir einen extrem großen Raum, den wir anderen Kulturschaffenden anbieten können." Für einen moderaten Preis könnten sich dort bald neue Formate einmieten. "So können sich einerseits verschiedene Kultursparten durch einen interdisziplinären Ansatz befruchten, andererseits ermöglicht uns das die Querfinanzierung von unseren Veranstaltungen", fasst Raffel diese mögliche Win-win-Situation zusammen.
Im Sommer soll eine weitere Ausgabe der Konferenz Musik und Maschine stattfinden, mit der im November 2019 die Räumlichkeiten des Tresor.West eingeweiht wurden. Auch dafür sucht der Club gerade nach Fördermöglichkeiten, die das Zusammentreffen von "Clubs und Player:innen der elektronischen Musik aus dem Ruhrgebiet" ermöglichen könnten. Raffel zufolge käme das einer Investition gleich: "Wir wollen uns darüber austauschen, was die Region und die Stadt Dortmund brauchen, damit sie lebenswerter werden. Dazu möchten wir den Status quo erfassen und Zukunftsstrategien erarbeiten." Ein paar Dinge möglich träumen also – so wie der Gründer es so oft schon vorgemacht hat.

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